Mittwoch, 10. März 2010
Tocotronic im E-Werk: Der Eingang zur Hölle
Mit „Freiburg“ hat alles angefangen: erste Platte, erstes Lied. Eine Hasshymne auf die selbst ernannte Schwarzwaldmetropole. Haben Tocotronic dieses brisante Stück auch bei ihrem ersten Freiburg-Konzert in diesem Jahrtausend gespielt?

„Freiburg“. Das war 1995, gut ein Jahr nach Gründung der Band. Damals, in der zweiten Hälfte der 90er Jahre, sind sie öfter hier aufgetreten, sei es im Jazzhaus, im Theater oder – legendärer Gig – in der alten KTS. Doch seit ihrer Theatertournee 1999 haben sie nie mehr in Freiburg auf der Bühne gestanden. Eigentlich unfassbar, für eine Institution des deutschsprachigen Indie- und Diskursrock und für absolute Kritikerlieblinge.

Doch gut zehn Jahre danach sind sie wieder zu Gast in der Stadt, die „ja bekanntlich der Eingang zur Hölle ist“, so Sänger Dirk von Lowtzow, zum ersten Mal in diesem Jahrzehnt und Jahrtausend, dort, wo er zumindest kurzzeitig studiert und zumindest die Band-Diskografie angefangen hat. Eine kleine Breitseite gegen sein anscheinend immer noch verhasstes Freiburg oder einfach nur eine Anspielung darauf, dass das Höllental vor der Haustür liegt? Es ist wie immer bei den Tocos: Zweideutigkeit gehört eindeutig dazu.

Mit ihrem hervorragenden Album Schall & Wahn im Gepäck müsste es ein grandioser Abend werden, Anlass zu großer Hoffnung und überdimensionierter Vorfreude also. Und die spannende Frage: Spielen Sie das Freiburg-Lied? Vielleicht als Zugabe?

Seit einer Generation fast schon machen Tocotronic zusammen Musik – und eine Konstante setzt sich auch im 17. Bandjahr fort: Wie von den Toco-Konzerten in den 90er Jahren gewohnt, fällt es Dirk von Lowtzow mitunter schwer, den richtigen Ton zu treffen. So oft liegt er dermaßen daneben, dass die weniger Wohlmeinenden im Publikum sich fragen, wie die Band eigentlich so weit kommen konnte.

Gestelzt und manieriert wie eh und je kommt Dirks eigentümlicher ‚Gesang’ daher, aber genau so nölig und nasal, wie ihn die Fans im Ohr haben – und in ihr Indie-Herz geschlossen haben. Wie das so ist: Die Gratwanderung zwischen gekonnt und dilettantisch ist kein Selbstläufer, zumindest live. Denn im Studio sitzen die Songs perfekt. Live blitzt da der Charme der frühen Tocotronic durch, als es noch der schrammelige Jan-Arne-Dirk-Kosmos war.

Musikalisch stemmen sie die Songs mit viel Elan auf die Bühne, Rick McPhail und von Lowtzow lassen ihre Gitarren immer wieder lange und zünftig kreisen und kreischen. Dabei liefert das Vierergespann einen bunten Mix aus ihrem Schaffen. Ein Dreierblock vom aktuellen Album eröffnet den Abend, darunter der grandiose Opener „Eure Liebe tötet mich“, ein melodisch-schwelgerischer 8-Minuten-Song mit sägenden Gitarren gegen Ende. Auch am Ende ihres Sets spielen sie noch mal drei Songs von der Schall & Wahn, zu Schluss wieder ein überlanges Lied: „Gift“. Damit schließt sich der Kreis.

Zwischendrin servieren die Enddreißiger Songs von nahezu allen Alben, so ist es fast schon ein nostalgischer Abend fürs studentische und ex-studentische Publikum. Das freut sich wie kleine Schulkinder, als die Band die alten Slogan-Songs aus der Hamburger-Schule-Schublade holt, so zum Beispiel „Jungs, hier kommt der Masterplan“ und auch die frühe Hymne „Drüben auf dem Hügel“.

Bei „Ich werde nie mehr alleine sein“ und „Bitte gebt mir meinen Verstand zurück“ wechselt Rick McPhail an die Drums und Schlagzeuger Arne gibt inbrünstig den Zänkelsänger. Der schrammelige Punkrock steht der Band nach wie vor besonders gut. Zugleich wird im Vergleich mit den neuen Stücken deutlich, wie sehr sie sich mittlerweile weiterentwickelt hat. Man sieht aber auch, dass die Fanbasis mit den letzten Magisterabsolventen bröckelig wird.

Nachwuchssorgen müssen sich die Vier dennoch nicht machen, sie spielten vor ausverkauftem Haus. Die Freiburg-Hymne bleibt aus. Dafür bringen sie einen alten Klassiker, „Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit“. Insgesamt eine runde Sache mit unrunden Momenten. Als Rausschmeißer vom Band ertönt das schöne Chanson „Die großen weißen Vögel“ der Fassbender-Muse Ingrid Caven. Auch die mittlerweile über 70-Jährige hat bei ihren letzten Auftritten den Ton nicht so ganz getroffen.


Tocotronic – Setlist

01: Eure Liebe tötet mich
02: Ein leiser Hauch von Terror
03: Die Folter endet nie
04: Die Grenzen des guten Geschmacks 2
05: Verschwör Dich gegen Dich
06: Schall & Wahn
07: Aber hier leben, nein danke
08: Imitationen
09: Jenseits des Kanals
10: Medley: Ich werde nie mehr alleine sein – Bitte gebt mir meinen Verstand zurück
11: Jungs, hier kommt der Masterplan
12: Let there be rock
13: Macht es nicht selbst
14: Drüben auf dem Hügel
15: Keine Meisterwerke mehr
16: Stürmt das Schloss
17: Gift

18: Mein Ruin (Z)
19: Ich bin viel zu lange mit Euch mitgegangen (Z)
20: Sag alles ab (Z)

21: Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit (Z)

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Dienstag, 9. März 2010
Alin Coen: Schneeschmelze eingeläutet
Alin Coen1

Nein, sie ist nicht mit den Coen-Brothers verwandt. Sie bevorzugt eher die leisen Töne. Bei Wohnzimmer-Atmosphäre wärmte die junge Alin Coen gestern mit ihrem Akustik-Pop das jos fritz café auf.

Was ist Wärme?

Alin Coen, jung, schmal, kurzer Bubikopf, steht am Tresen im jos fritz und bittet vor Konzertbeginn freundlich um ein Stilles Wasser. Allein mit ihrer Akustikgitarre bestreitet sie ihren kurzfristig arrangierten Gig, ihren ersten in Freiburg. Zart, fast zärtlich streicht, ja streichelt ihre Hand die Saiten.

Die junge Musikerin aus Weimar nimmt das überwiegend weibliche Publikum sofort gefangen – offensichtlich das passende Programm zum Weltfrauentag. Selbstvergessen lehnt sich ein Mädel mit geschlossenen Augen an die Wand. Musik zum Augenschließen-und-einfach-nur-Zuhören.

Ruhiger Akustik-Pop im Stile einer Ani DiFranco und folkige Töne erfüllen die schlauchartige Kneipe, die genau so gut in Berlin liegen könnte. Ihre ausdrucksstarke Stimme kündet von Ängsten, Verletzlichkeit und Trennungsschmerz, mal auf Englisch, mal auf Deutsch.

So zum Beispiel in dem Lied „Festhalten“, in dem sie die Perspektive eines Ex-Freundes einnimmt. Trennung als verbindendes Element: Einige Leute haben der Singer/Songwriterin in letzter Zeit hierzu ihr persönliches Trennungs-Feedback gegeben... Manchmal allerdings kratzen die Texte an der Grenze zur Betroffenheitslyrik.

Alin Coen 2

Es ist mutig, wie die fragil wirkende Alin Coen, die sonst mit Band unterwegs ist, sich da allein ins Licht der Öffentlichkeit wagt. Sie geht sogar das Wagnis ein, einen am selben Tag frisch geschriebenen, nur halbfertigen Song zum Besten zu geben. Er handelt von einer Mutter, die ihr Neugeborenes in einer Babyklappe abgegeben hat. „Das hat mich ganz schön doll berührt“.

Da das Stück ebenso gerade erst das Licht der Welt erblickt hat, ist die zierliche Musikerin auf Schützenhilfe vom Blatt angewiesen. Doch wie halten – beim Gitarrespielen? Ein sympathischer Mann in der ersten Reihe bietet sich als Blatthalter an. Sie willigt ein, lehnt dann aber doch dankend ab: „Dann bin ich ja dauernd abgelenkt“, gesteht sie lachend. Vielleicht ist das ein typisches Bild, irgendwie weckt sie den Beschützerinstinkt mit ihren intimen Songs in der Wohnzimmer-Atmosphäre des jos fritz. Goldig und authentisch.

Schön laut und druckvoll gerät einer der letzten Songs, ganz so, als wäre jetzt eine Last von der Schultern der Alin Coen abgefallen. Das Stille Wasser ist mittlerweile umgekippt. Melancholie schwebt über ihren Songs wie ein hartnäckiger Winter, der sich nicht austreiben lassen will. Immerhin – mit der knisternden Wärme eines Kaminfeuers hat Alin Coen die Schneeschmelze eingeläutet. Oder sind das jetzt nur warme Worte?

Alin Coen 3
Irgendwie verhuscht


P.S. Wer mehr über Alin Coen erfahren möchte, kann sich die TV-Doku „pop_cracks“ von ZDF und 3sat anschauen, die die vierköpfige Band acht Monate lang begleitet haben. Sehr sehenswert! Und im Sommer soll dann die erste CD rauskommen.

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Montag, 8. März 2010
Handy-Hoolaloop: Unser täglich Loop gib uns heute
Crazy Ed from La Douce France zeigt uns mit das Coolste, was man wohl mit einem iPhone machen kann. Handy-Hoolaloop! (Dank der App von Mancing Dolecules.



[via macnews]

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Freitag, 5. März 2010
Botanica im E-Werk
Hm, gerade habe ich mir die Mail einer jungen Eidgenössin nochmal durchgelesen, die sie mir letzte Woche nach dem Botanica-Konzert in der satisfactory geschickt hatte. Sie war nicht nur zufrieden, sondern be- und entgeistert zugleich.

Nur bin ich just in dieselbe Falle getappt wie sie, denn auch ich habe eine CD von Nikko Weidemann, dem Supportmann, erworben (aber noch nicht reingehört). Solo kommt er singer/songwritermäßig rüber. Die Schweiz sagt: Nee, das is' nix. Live toll, aber auf CD? Naja...

Ich fand ihn cool, er kann toll erzählen und hat vor 32 Jahren hier in Freiburg sein erstes Konzert gegeben - Kreise, die sich schließen. Ein Abend der Weltskurrilität - Nikko mit (Augen)Klappe, Kippe, Kappe. Man gestatte mir etwas Pathos: Der Typ war irgendwie wahrhaftig. Und hatte was von Niels Frevert und Gisbert zu Knyphausen, wenn er auf Deutsch sang.

Botanica

Und Botanica? Die waren sicherlich ganz von den Socken, denn das Konzert fand im kuscheligen Kammertheater statt, dass heißt: bestuhlt, etwa 50 Plätze. Aber nur 35 Leute waren da.

Die haben allerdings etwas Großartiges erlebt, auch wenn einige von ihnen das vielleicht nicht so sahen. Botanica haben schön ruhig, sich aber stetig steigernd losgelegt, hatten dabei eine ganze Weile lang massive Soundprobleme, so dass die Puristen unter den Zuschauern schon entnervt waren.

Als dann aber mal alles lief, hat die E-Gitarre so richtig reingeknallt, der Drummer mal galoppiert, mal derb geknüppelt, mal jazzig sanft die Becken gestreichelt, der Mann für die Basslines abwechselnd zum Strommodell und zum Kontrabass gegriffen, bis die asiatische Nürnbergerin an der Violine irgendwann mal ein Grinsen übers Gesicht huschen ließ.

Und der Sänger, zugleich Orgelmann, ist eh 'ne durchgeknallte Type. Irgendwie vogelartig. Er zählt zu den Vogelartigen. Sein Name: Paul Wallfisch (na gut, doch kein Vogel). Seine Handpirouetten, seine Art sich zu bewegen, sich und seine Finger in die Höhe zu schrauben (falsches Signal für jeden Mischer), sein linkes Bein abzuspreizen - all das wirkt höchst eigenartig, Richtung exaltierte Tarantel. Macht aber mächtig Spaß.

Es ist kein Indierock (zumindest kein "typischer"), den die sechs da auf der Bühne zelebrieren, in die Länge dehnen und wieder zersägen, mal sind die Songs getragen, mal entspannt, oft mit schön geladenem Spannungsbogen. Wie meint Wiki? "A dynamic and eclectic mix of gypsy and punk-cabaret infused chamber rock". Alright.



Immer wieder hämmerte der Mann im Rüschenhemd mit der Rechten auf seinem klapprigen Mini-Spielzeug-Piano herum, es gab Momente, da geronn der Band irgendwie alles, jegliches Geräusch zu Musik, und irgendwann hopste der Leadsänger durch die Stuhlreihen mit einem Megaphon in der Hand und, und, und... Monsieur X. und ich fanden's Weltklasse.

Botanica2

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Donnerstag, 4. März 2010
Ein CD-Schrank für den Preis einer CD - Renner Kulturflatrate?
"Der Bundesverband Musikindustrie (BMVI) sollte eine eigene Kulturflatrate für Internetbenutzer einführen", fordert der Musik-Querdenker Tim Renner in der aktuellen Ausgabe des deutschen Rolling Stone, die heute herausgekommen ist.

Mit 12,90 Euro im Monat wäre man dabei, und zwar mit unbeschränktem Zugriff auf das Plattenarsenal der Industrie, "soviel pro Monat, wie eine CD gefühlt kostet", so (der) Renner. Bislang verwehrt sich die dino-like Musikbra(n)che beharrlich gegen derlei Pläne. Sie fürchtet ein Eigentor (siehe unten). Wäre doch cool, oder? Ein CD-Schrank für den Preis einer CD.


Eigentor des Monats/des Jahres/ des Jahrzehnts/der Fußballgeschichte (Zutreffendes bitte ankreuzen)

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Mittwoch, 3. März 2010
The week-end
Reanimiert von Monsieur X, kartenmäßig bestückt vom Koko-Kokon: wir zwea bei Chris Rea. Reaktiviert werden musste der alte Engländer schon, denn ursprünglich hatte der famose - aber leider vom Formatfunk totgedudelte - Gitarren- und Bluesmann, der am 4.3.2010 seinen 59. Geburtstag feiert, bereits vor ein paar Jahren der Bühne Adieu gesagt. Naja, obwohl - das Reden ist seine Stärke nicht. Was zählt, ist die Musik: souveränes Gitarrenspiel samt tiefer Schmeichelstimme - für die Generation 40plus. Bei Road To Hell hat es Monsieur X. fast verrissen vor nostalgischer Erregung - Genuss pur. (

Noch nicht einmal 24 stunden später, exakt um 19.20 Uhr, tönt just dieser Song aus den Boxen des englischen Pub The Fox & The Hound in Frankfurt. Flashback. Bierchen & bonbonbuntes Unterhaltungsprogramm mit H1. Spruch des Nachmittags: Boni soit qui Mali pense. Abends rannte mysterox zur Promilletankstelle - und verweilte dort.

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Wenn der Rote im Glase funkelt...
Frankfurt am Main, am Abend des Sturms, 28.02.2010

Roter im Glase

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Montag, 22. Februar 2010
Nebenverdienst
Zahl des Tages: 497 Millionen
Wort des Tages: Typosquatting

"Bis zu 497 Millionen Dollar verdient Google jährlich durch Domainvertipper. Soviel Anzeigenumsatz macht Google mit AdSense-Anzeigen auf Seiten, die auf Buchstabenverdreher bei der URL-Eingabe spekulieren. Das haben zwei Harvard-Studenten errechnet." (via ZDnet)

Kein schlechter Nebenverdienst - eine halbe Milliarde Dollar.

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Freitag, 19. Februar 2010
Redaktionelles Rantasten
mysterox haut grad mächtig-wichtig-wuchtig in die Tasten,um sich an den Redaktionsschluss ranzutasten...

Nach drei (karnevals)freien Tagen heißt es nun: bitte ziehen sie durch! Soziale Inkomapitibilitäten bitte wohlwollend behandeln. Danke.

Bon Voyage!

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Donnerstag, 18. Februar 2010
Vom Imperator zum Doktor: Herr Kaiser geht von Bord & gleich wieder an Bord
Herrn Kaiser kennt wohl jeder: Seit 1972 Jahre darf der Namensvetter von Herrn K. im Werbefernsehen gute Stimmung und positive vibes für die Hamburg-Mannheimer Versicherung verbreiten. Geflötetes Motto: Hallooo, Herr Kaiser!

Schauspieler Nick Wilder, 17 Jahre lang der Mann hinter 'Herrn Kaiser', ist nun als Werbefigur abgesägt worden - und hat flugs zum Mediziner umgeschult, ganz Herr-K.-like. Nun hat er beim ZDF angeheuert - als Bordarzt beim Traumschiff.

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Mittwoch, 10. Februar 2010
Der Große Botul hat wieder zugeschlagen
Schon vielen erging es so, nun muss auch Frankreichs Philosophen-Star Bernard-Henry Lévy, kurz BHL, dran glauben: Jean-Baptiste Botul hat ihn reingelegt. Ob und wenn ja wie er da wieder rauskommt? Er hätte mal vor her jemand fragen sollen...

Auch andere sind dem gewitzten Denker schon auf den Leim gegangen - und das ist fast schon zehn Jahre her. Man hätte es also wissen können.

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